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Nature / Lake et al.
Im Kalziumkupratgitter sind die Cu2+-Ionen (rot, Spin = 1/2) und die O2--Ionen (blau) mit orthorhombischer Symmetrie angeordnet. Die Ca2+-Ionen sind ausgeblendet. Die gestrichelten Linien separieren die einzelnen "Leitern", in denen sich die Spins (Eigendrehimpulse) der Teilchen auf bestimmte Weise anordnen und beeinflussen.
Copyright: Nature / Lake et al.
HZB
Bella Lake (vorne Mitte), Juniorprofessorin an der Technischen Universität Berlin, mit ihrer Nachwuchsgruppe für Magnetismus und Supraleitung der Quantentechnik am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB).
Copyright: HZB

Confinement in Kondensaten

Der Begriff Confinement beschreibt in erster Linie ein Phänomen der Elementarteilchenphysik: Quarks treten nie alleine sondern immer nur zu mehreren auf. Will man einen aus dem Verband heraus reißen, muss so viel Kraft aufgewendet werden, dass neue Teilchen erzeugt werden und wieder nur Grüppchen vorliegen. Festkörperphysiker konnten ein analoges Verhalten jetzt erstmals für Spin-Ketten in kondensierter Materie nachweisen.
Dem Confinement liegt die Theorie der starken Wechselwirkung zugrunde. Danach sind die Teilchen, zum Beispiel Quarks, durch eine Kraft aneinander gebunden, deren Stärke wächst, je weiter die Teilchen voneinander entfernt sind. Versucht man sie zu trennen, wird irgendwann die notwendige Energie so groß, dass sie - nach Einsteins Formel E = mc2 - zur Bildung eines zusätzlichen Teilchenpaars ausreicht.

In den 1990er Jahren hatte ein Team um Alexei Tsvelik vom Brookhaven National Laboratory eine Theorie entwickelt, nach der ein analoger "Confinement-Prozess" auch bei so genannten Spin-Leitern in Festkörpern existieren müsste. Bella Lake vom Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) hat nun zusammen mit einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern diese Theorie erstmals im Experiment bestätigt.

Dazu verwendeten die Wissenschaftler magnetische Kalziumkuprat-Kristalle, die am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden synthetisiert wurden. Dessen Spin- und Kristallstruktur wurde anhand von Streuversuchen mit Neutronen am Forschungsreaktor BER II in Berlin ermittelt. Für weitere Neutronen-Experimente wurde eine spezielle Technik angewendet, die am Rutherford Appleton Laboratory mit seiner gepulsten Neutronenquelle zur Verfügung stand.

In dem untersuchten Kristall besteht die Spin-Leiter aus Kupfer- und Sauerstoff-Ionen, die zu einer Kette aufgereiht sind. Aufgrund einer starken elektromagnetischen Wechselwirkung bilden zwei solcher Ketten die "Holme" der Leiter. Das Besondere an den einzelnen Ketten ist, dass sich die Elektronen im Zusammenspiel anders verhalten als isolierte. Normalerweise zeichnen sich einzelne Elektronen jeweils durch ihre Elementarladung und ihren magnetischen Spin aus. In der Kette jedoch separieren sich die Eigenschaften Spin und Ladung voneinander.

Lake und ihre Kollegen konnten mithilfe von Neutronen-Streuexperimenten nachweisen, was genau passiert: Sobald zwei Kupferoxid-Ketten eine Spin-Leiter bilden, rekombinieren die separierten Spin-Teile in neuartiger Weise. Lake erklärt: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die angeregten Spin-Ketten, so genannte Spinone, in ähnlicher Weise wie Quarks eingeschlossen und zusammengehalten werden." Auch hier wird, je mehr Energie man aufwendet, die zusammenhaltende Kraft immer stärker, bis es schließlich zur Bildung von Spinonen-Paaren kommt.

Institutsleiter Alan Tennant ergänzt: "Die Geometrie der Leiter spielt eine wesentliche Rolle: Spinone finden sich immer zu Paaren zusammen, und diese Paarbildung kostet Energie. Sobald sich also Spinone voneinander entfernen, steigt auch der Energiebetrag, der notwendig ist, um ein benachbartes Elektron zur Paarbildung anzuregen. Man kann sich das wie bei einem Gummiband vorstellen. Je weiter es auseinander geht, desto mehr Energie wird für den Zusammenhalt aufgewendet."
 
Alexei Tsvelik betont die Bedeutung des experimentellen Nachweises: "Wie Hadronen gebildet werden, können wir qualitativ sehr gut beschreiben. Jedoch sind viele quantitative Aspekte bis heute nicht verstanden. Zum Beispiel können wir theoretische Parameter nicht in Einklang bringen zu der im Experiment nachgewiesenen Masse von Hadronen. Dies ist einer der Gründe, warum Analogien zu Berechnungen und Experimenten in kondensierter Materie wichtig sind. Sie könnten Beispiele sein, anhand derer wir das Prinzip des Confinement besser beschreiben könnten."

Quelle: Lake, B. et al.: Confinement of fractional quantum number particles in a condensed-matter system. In Nature Physics, 10.1038/nphys1462, 2009.

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